Kangeiko: Früher Start ins Aikido-Jahr

Die Vögel zwitschern in der Morgendämmerung, Rücken und Beine sind noch etwas steif, wir sitzen und sammeln uns für die beginnende Aikido-Stunde. Es ist kurz vor sieben, Anfang März, und wir machen Kangeiko: Eine Woche Frühtraining, um das neue Aikido-Jahr einzuläuten.

Jeden Morgen versammelt sich eine leicht verschlafene Truppe, einige noch ganz verknautscht. Sobald die vertraute Routine der Aikido-Stunde beginnt, finden die Körper ihre Bewegungen wieder, und nach einem „der Uhrzeit angemessenen“ Dehnungs- und Aufwärmtraining machen wir Aikido: Greifen, Spüren, Führen, Werfen, Rollen, Fallen…

Kangeiko wird eigentlich zur Zeit des japanischen Neujahrsfestes, im tiefsten (und kältesten!) Winter abgehalten – beste Voraussetzungen, um Durchhaltewillen, Selbstüberwindung und Konzentration zu prüfen und den Geist zu reinigen. Wir fangen klein an, mit einem Frühlings-Kangeiko – nächstes Jahr wird’s früher.

roll, stand, sitAikido ist eine japanische Kampfkunst, die ohne Wettkampf auskommt, aber immer im Kontakt mit einem Partner geübt wird. Angriffe werden nur trainiert, um den Umgang mit der Aggression zu lernen. Dadurch bleibt das Training auch unter erschwerten Bedingungen gefahrlos. Anfänger und Fortgeschrittene können zusammen üben, und einander helfen, noch besser auf den anderen einzugehen und die Techniken noch runder und effektiver auszuführen.

Die dem Schlaf abgetrotzte Stunde vor der Arbeit gibt dem Training einen zusätzlichen Zauber – dies ist Extra-Zeit, neben dem Alltag. Als wir wie immer nach der Stunde abgrüßen, markiert das noch mehr als sonst den Übergang in das „normale“ Leben außerhalb der Matte.

Als Abschluss der Woche machen wir am Samstag ein letztes Training, und gehen gemeinsam asiatisch Essen. Im Original hieße das Kagamibiraki und hätte mit Reiskuchen und symbolischen zerbrochenen Spiegeln zu tun – auch da bleiben wir ausbaufähig.

Durch das intensive Training morgens und abends sind wir für eine Woche tief eingetaucht ins Aikido, und diesen Schwung nehmen wir mit, für ein neues Aikido-Jahr.

Neugierig geworden? Der nächste Anfängerlehrgang im ETV findet am 6.6.2009, 15:00 statt. Weitere Infos dazu bei Volker Platz (volkerplatz@web.de) oder unter www.aikido-eimsbuettel.de.

Knack!

Knackende Gelenke sind genauso allgegenwärtig wie unnötig. Knackende Knie, Fingerknacken, Ellbogen, Sprunggelenk, Schulter, Handgelenk, alle sind mal dran. Manche knacken “auf Befehl”, manche unwillkürlich, manche unter Stress. Die Meinungen zu den Ursachen gehen weit auseinandergehen (“Gasbläschen”, “Knorpelschaden”, Knorpel-Falte,…), und auch zu den Ursachen der Ursachen (Veranlagung, Überbelastung, Abnutzung, Entzündung, Fehlernährung, muskuläres Ungleichgewicht). Mancher knackt sogar gern, weil sich dabei eine aufgebaute Spannung löst. Die alten Knacker sind keineswegs alle alt; ein Freund konnte seinen Knien schon als Teenager ein Knallen entlocken.

Im letzten Aikikai-Magazin konnte man nachlesen, dass viele Aikido-Treibende Knieprobleme haben. Meine Wahrnehmung ist eher, dass viele *Menschen* Knieprobleme haben, und man durch das Aikido-Treiben die Chance und die Mittel bekommt, daran zu arbeiten.

Mich hat es vor Jahren nach einem untrainierten Lauf um die Alster erwischt; meine Kniescheiben waren so sehr im Eimer, dass ich keine Treppen mehr steigen konnte, und die Knie bei jeder Bewegung unappetitlich knurpselten. Zum Glück bin ich damals nicht dem ärztliche Ratschlag gefolgt, irgendwelche Bänder zu durchtrennen – mittlerweile sind die Knie (dank viel Aikido?) auch so wieder voll OK.

Letztens trainierte ich mit einem vielleicht 15jährigen Partner. Bei jedem Shiho-Nage gab sein linker Ellbogen ein deutliches “Knack” von sich. Er meinte “das ist normal, das macht der immer” – allerdings hatte ich das deutliche Gefühl, dass genau dieser Arm weitaus angespannter war und versuchte, die Bewegung in eine Richtung zu machen, die “nicht geht”.

Was da knackt

Was da knackte, ist ein Gelenk, das ausserhalb der optimalen Bahn bewegt wird; statt durch den Zug der Muskeln muss das Knorpelmaterial die Bewegung führen und beschwert sich. Oder die Muskeln arbeiten gegeneinander, Agonist und Antagonist sind während der Bewegung beide angespannt und erhöhen so die Reibung und den Druck im Gelenk, eine optimale Arbeitsweise, wenn man den Knorpel abschleifen wollte.

Oder der Muskel ist verkrampft, entspannt sich nicht schnell genug, und in der Bewegung wird das Gelenk in sich selbst hineingehauen, statt vom Gegenspieler übernommen zu werden. Besonders gern bei einer schnellen Bewegung mit “eingerosteten” Gelenken.

Oder die Muskeln sind einfach müde, untrainiert, können das Gelenk nicht mehr stützen – wieder muss die Struktur die Belastung tragen, und das kann sie nicht unbegrenzt, und insbesondere nicht in jede Richtung gleich gut.

Ein gesunder junger Knorpel mag das alles eine Zeit lang wegstecken und wird anfangs auch noch nicht so viel Lärm machen, aber wozu unnötig die Qualität der eigenen Lebenszeit reduzieren?

Bewusste Bewegung

Es gibt vielerlei Wege, wie das Gelenk unrund werden kann. Sicherlich ist es wichtig, die Ursachen auch auf anderen Ebenen (z.B. Ernährung!) anzugehen, aber schon durch bewusstere Bewegung lässt sich der Zustand verbessern. Statt sich in seine Sehnen zu hängen, mit vollen Wucht gegen die bestehenden Unebenheiten dagegenzuknallen oder knarrende Gelenke loszureissen, kann man mit sehr aufmerksamer Führung und vorsichtiger Be- oder Entlastung das Gelenk über die Unebenheit hinwegführen und sie vielleicht wieder ausgleichen.

Das Gelenk braucht Bewegung; die Körpereigenen “Schmierstoffe” müssen im Gelenk verteilt werden, vielleicht auch der Knorpel in Form gehalten werden, indem er daran erinnert wird, wo er gebraucht wird. Indem der gesamte Bewegungsspielraum genutzt wird, kommen auch die dunklen Ecken der Gelenke ins Spiel.

Bewegung steigert auch die Intelligenz der Muskeln, und die Sensibilität für Stellung und Druckverteilung. Gerade Aikido wirkt hier wunder, weil wir den Umgang mit Hebeln gegen die normale Bewegungsrichtung und damit auch die Haltung bei Querbelastungen trainieren.

Auch Druck (in der richtigen Verteilung) ist gut; der Knorpel ist nicht selbst durchblutet, und muss wie ein Schwamm “ausgepresst” werden, um sich wieder neu mit Nährstoffen zu versorgen. Eher statische Haltungen, in denen Druck aufgebaut wird, sind da wohl besser, und liefern gleichzeitig hilfreiches Krafttraining.

Knack!

Ein gelegentliches Knacken ist natürlich harmlos; es darauf anzulegen ist aber wahrscheinlich keine gute Idee, und spätestens wenn das Gelenk nicht nur ab und zu mal knackt, sondern regelmäßig, oder sogar dabei wehtut, oder die Bewegung eingeschränkt oder ungleichmäßig ist, ist es Zeit, sich etwas mehr Aufmerksamkeit zu gönnen.

Disclaimer: Ich bin kein Mediziner, und das hier ist kein medizinischer Rat. “Knacken” fällt aber wohl eher in den Bereich der “Wellness”-Beschwerden. Ich glaube, dass der Besuch beim Orthopäden oder Chirurgen bei “Wellness”-Beschwerden wenig bringt – die sind dann doch eher für die ernsten Fälle zuständig. Meiner Erfahrung nach werden zu häufig Röntgenbilder angefertigt, auf denen kein Befund zu erkennen ist, kommentiert mit “habe ich auch nicht erwartet, sonst würden Sie hier nicht mehr so sitzen”, und dann die vorbereitete Diagnose verabreicht, schlimmstenfalls eine nur für deutlich schwerere Fälle angebrachte Therapie empfohlen. Die Strahlenbelastung kann man sich dann auch sparen, und statt im Wartezimmer lieber die Zeit auf der Aikido-Matte verbringen.

Bis an die Grenze gehen muss nicht weit sein

“Wenn Du nicht bis an Deine Grenzen gehst, findest Du auch nicht heraus, wo sie sind” – so ähnlich kommentierte Tom vor einer Weile, als ich mir auf der Matte zu viel zugemutet hatte. Das hört man gern, schwingt doch eine abenteuerlich-heroische Komponenten mit – “an seine Grenzen gehen”, das ist kurz vor “where no man’s gone before”.

In letzter Zeit suche ich ausserhalb des Dojo, beim Inline Skaten, Skilaufen, Schwimmen, Klettern, Fahrradfahren, Laufen, Kickern. Und stelle fest: Das Abenteuerlich-Heroische kann sich schnell verflüchtigen, wenn offenbar wird, wo die Grenzen tatsächlich liegen. Insbesondere, wenn anderer Leute Grenzen ganz woanders liegen – Du stellst fest: Hey, ich bin ja wirklich schlecht. Was für Dich ein Riesen-Schritt ist, wird bestenfalls belächelt oder als Präludium zu den echten Leistungen gesehen.

Beim Schwimmen ist es für mich schon eine Herausforderung, nicht in blinde Panik zu verfallen, wenn ich mich verschlucke. Mein erster Köpfer (im zarten Alter von 34 Jahren) war aufregender als alle Horrorfilme meines Lebens zusammengenommen. Sicherlich eine ehrenhafte Sache, diese Grenze zu finden und zu überwinden, aber geht es beim Schwimmen nicht um etwas ganz anderes? Geschwindigkeit, Ausdauer, optimaler, effizienter Krafteinsatz, Wasser “greifen”, Dreierzug, Tauchwende,…

Das gleiche ließe sich von allen anderen Sportarten erzählen: Man ist stolz, mit Toprope die 5er-Tour geklettert zu sein, und sieht dann einen Spiderman im Vorstieg an der Decke der Halle turnen. Mit Inline-Skates bergab fahren und dabei auf der Bremse stehen ist schon ein Nervenkitzel, hat aber wenig mit einem Salto in der Halfpipe zu tun. Langlauf-Ski sind schon echt glitschig und kriegen bergab ganz schön Fahrt drauf, aber Abfahrt über schwarze Pisten ist doch noch eine Nummer härter. Etc. etc.

Was mich reizt, sind die Dinge, die ich gar nicht kann, die ich noch nie selbst gemacht habe. Beim allerersten Versuch stellt sich eine alle Systeme erfassende Angst ein, der ganze Körper schreit “aber ich weiss doch gar nicht wie das geht” oder sogar “mach das bloss nicht, dabei kann man sich wehtun“, und dann machst Du es und es geht doch ein bisschen, und Du merkst, wo es nur der die Angst war, die Dich begrenzt, und beim nächsten Mal geht ein bisschen mehr. Und irgendwann ist dann der Punkt erreicht, wo Du merkst: jetzt läuft es, ab jetzt ist es nur noch Arbeit.

Und dann suche ich mir etwas Neues, denn es gibt so viele viel näher liegende Dinge, vor denen ich Angst habe.

Hinter der ersten hohen Schwelle kommen in jeder Richtung sicherlich noch viele weitere, anspruchsvollere Grenzen; und vielleicht zählt es im Vergleich mit anderen mehr, weiter gekommen zu sein, die Grenze noch höher gesteckt und erreicht zu haben; aber für das eigene Leben bringt es einfach mehr, eine Grenze anzugehen, die so naheliegt, dass man sie anderen gegenüber kaum zugeben möchte, vielleicht nicht einmal sich selbst gegenüber.

Das sind die Grenzen, hinter denen ganz neue Räume liegen. Keine menschenleeren “where no man’s gone before”-Räume, sondern im Gegenteil, Räume mit Menschen, für die das ganz normal ist, die vielleicht gar nicht mehr wissen, dass es da mal eine Schwelle zu überwinden gab.

Echt

Am Ostermontag, dem letzten Tag des Lehrgangs, habe ich wieder gesehen, weshalb es sich lohnt, über Jahrzehnte dranzubleiben. Silke Makowski machte den vierten Dan, und durfte Gegentechniken, Verkettungstechniken und ein Randori gegen fünf Angreifen zeigen (in jedem Fall: “Angriff frei, Technik frei”). Man muss sich das vorstellen als eine fliessende Abfolge von ineinander übergehenden Bewegungen, die jeweils einzeln einen Namen hätten, aber mit einer solchen Selbstverständlichkeit in die Situation eingepasst werden, dass es schwerfällt, einen Anfang und ein Ende zu benennen.

Budo-Choreographie von diesem Kaliber kenne ich sonst nur aus dem Kino, Aikido von diesem Niveau vielleicht von ein paar Videos mit weit entrückten japanischen Großmeistern. Auf Lehrgängen und im normalen Unterricht werden die Techniken stets fein säuberlich zerlegt, ein quasi gleichberechtigtes Miteinander von hohen Danträgern ist da selten zu sehen.

Das tolle am Osterlehrgang ist, dass alle Dan-Grade zum Anfassen da sind: Mit derselben Silke hatte ich noch am Tag vorher an einer Technik geknobelt (“hat er das jetzt so oder so gezeigt?”). Es sind eben nicht Leinwandhelden, sondern alles ist echt, echte Menschen, die mit Talent und Commitment über lange Jahre dem Weg des Aikido gefolgt wird.

Schon nach wenigen Jahren

Wie schon letztes Jahr hatten wir heute wieder einen sehr langen Tag lang Nikkyo im Programm. Mittlerweile hat sich wenigstens eines meiner Handgelenke an die Behandlung gewöhnt.

Asai meint, Nikyo sei für Anfänger sehr schmerzhaft, aber für die Dan-Träger und die fortgeschrittenen Kyus, die “schon ein paar Jahre trainieren”, sollte mehr gehen (“Geben sie volle Kraft!”). Und tatsächlich kann man diese Entwicklung, gestaffelt nach Kyu- und Dan-Graden, auf der Matte beobachten.

Was mich daran so fasziniert ist, dass offenbar bei regelmäßigem Training ein schleichender Umbau des Körpers stattfindet, der mehrere Jahre braucht und auch nicht schneller zu haben ist. Es ist nicht nur so, dass der Kopf die Bewegung verstehen muss, oder die Motorik geschickter wird, sondern tatsächlich formen sich Sehnen, Bänder und wahrscheinlich sogar die Knochen, um der Belastung entsprechen zu können.

Ich glaube, dass sich das gesamte Körperbild entwickeln muss; um sich in den ungewohnten Bewegungen wieder heimisch zu fühlen, muss sich eine neue einfachst-mögliche Vorstellung bilden (im Sinne von Patterns, Symmetry, and Symmetry Breaking), etwas reichhaltiger und umfassender. Das kann nur passieren, wenn man der neuen Belastung entsprechen will, ihr also positiv gegenübersteht; wenn man dran bleibt und weiter nach einer Lösung sucht; wenn man die alte Situation nicht vergisst, sondern integriert; wenn die neue Situation lange genug besteht, dass man sich darauf einstellen kann; und wenn das Scheitern der bisherigen Vorstellung nicht als ultimatives Scheitern verstanden wird, sondern als Aufforderung.

Kurz gesagt: Anpassung braucht Zeit, und geschieht nur, wenn man mitgehen möchte.

Kleine Ruppigkeiten und kleine Empfindlichkeiten

Heute (beim ersten Tag des Osterlehrgangs) hat mich wieder beeindruckt, wie viel Spaß die meisten auf der Matte haben, obwohl laufend kleine Ruppigkeiten und Missgeschicke passieren. Man steckt sich den Ellbogen irgendwo, tritt sich auf die Füße, touchiert beim Rollen den Kopf des Nachbarn, zieht mit den Fingernägeln übers Gesicht oder steckt auch mal einen Finger leicht ins Auge, setzt einen Hebel in einer Richtung an, die gar nicht geht, etc.

Und ich meine jetzt nicht die gewollten “Schmerzen” durch Hebel und Fallen. Darauf ist man eingestellt und kann sie auch ganz gut selbst dosieren; das ist dann im besten Fall so schmerzhaft, wie einen Kasten Wasser zu tragen oder eine schwere Tür zu öffnen.

Im “normalen” Leben erlebt man oft genug, dass sich Menschen “auf die Zehen getreten” fühlen. Der sprichwörtliche “Tritt” oder Schritt auf die Zehen ist deswegen so spannend, weil er keinen echten Schaden anrichtet, aber aus Höflichkeit/Respekt doch meistens unterlassen wird. Und weil er meist aus Ungeschicklichkeit oder Nachlässigkeit geschieht, nur selten aus Absicht. Der Unterschied ist reine Deutungssache, und hat viel mit den Empfindlichkeiten und Aggression des Getretenen zu tun.

Wie viel Geschicklichkeit und Rücksichtnahme kann ich vom andern erwarten? Auch für den Trainingspartner gilt: Man ist, wo man ist, nicht weiter, und die Entwicklung braucht Zeit.

Der Zauber des Aikido sorgt dafür, dass wir uns nicht mit eskalierenden Deutung-Verkrampfen-Rache-Spielchen unterhalten, sondern eine Ungeschicklichkeit oder mangelnde Achtsamkeit als solche sehen, darauf hinarbeiten, sie abzustellen, und offen für den eigentlichen Spaß bleiben: gemeinsam eine Bewegung zu meistern und dabei ordentlich “das Ki zu knoten und zu kneten”!

Harmonie bis zum Umfallen

“Wir stehen hintereinander, in der gleichen Richtung, mit der gleichen Haltung. Wenn ich jetzt das Bein zurücknehme, fällt er um. Da braucht man gar nicht groß zu ziehen.”

Andreas Jürries erklärt einen Irimi Nage. Dadurch, dass sich die Kräfte harmonisieren, entsteht eine Verbindung, in der sich eine Bewegung direkt auf den Partner überträgt. Und da die Positionen dann doch unterschiedlich sind, fällt der eine, und der andere bleibt stehen.

Mich beunruhigt die Verantwortung, die darin liegt. Je harmonischer die Beziehung, desto mehr bewegen wir einander, und können uns mit kleinsten Gesten zu Boden werfen.

Volle Kräfte voraus!

Es heisst oft, im Aikido solle man keine Kraft einsetzen. Meister Asai sagt: Das ist Quatsch. Im Aikido braucht man sehr wohl Kraft, nur nicht die blockierende, in sich hineinziehende Kraft, sondern eine nach aussen gerichtete (vielleicht könnte man sagen: zielgerichtete, effektive?). Diese Art Kraft kann man voll einsetzen, ohne sich selbst zu verletzen, und da sie klarer daherkommt, fällt es auch anderen leichter, sich darauf einzustellen.

Beim letzten Lehrgang kam mal wieder der Zusatz: “Wenn sie 100 Kraft haben, setzen Sie 100 Kraft ein”. Nun bietet das Japanisch-Deutsche ja Raum für Deutungen – ich hatte das als prozentuale Aussage verstanden (100% geben), habe gestern aber noch eine andere interessante Deutung gehört:

  • Muskelkraft
  • Willenskraft
  • Vorstellungskraft
  • Überzeugungskraft
  • Atemkraft
  • Ki-Kraft
  • Hebelkraft
  • Zentrifugalkraft
  • Gravitationskraft
  • Kraft der Liebe (?)
  • Konzentrationskraft (gibt’s das Wort im Duden?)
  • …etc…

Wir denken einfach viel zu eindimensional.

Control

Kontrollierter Kontrollverlust ist das Thema, das mich beim diesjährigen Deutschlandbesuch von Jorma Lyly am meisten fasziniert hat. Es fing an mit “Off-Balancing Exercises”: Der eine greift den anderen, z.B. am Unterarm, und hält den Kontakt, die Füsse dürfen sich nicht bewegen. Der Gegriffene fühlt sich in den Greifenden ein und führt ihn dann zu Boden. Das geht erstaunlich leicht.
Das englische Wort finde ich super gewählt: Es ist eben nicht nur eine Gleichgewichtsübung, sondern insbesondere eine Gleichgewichts-Verlust-Übungen, und auch eine Aus-dem-Gleichgewicht-Bring-Übungen.
Jorma führte diese Technik mit vielen verschiedenen Partnern vor. Anfänger fallen generell plötzlicher und härter als die Fortgeschrittenen. Anfänger neigen dazu, zu viel Kraft aufzuwenden, um genau ihre Position zu halten; sobald das nicht mehr möglich ist, entlädt sich diese Kraft in einem heftigen (und steifen) Fall.
Jorma gab uns mit auf den Weg, dass man nur etwas lernen könne, wenn man bereit sei, sich aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Das Straucheln, Rudern, Stolpern ist eine Suchbewegung, in der man ein neues Gefühl finden kann. Wer sich zu sehr in seiner Stabilität verkriecht, bleibt auch darin gefangen, und fällt im Zweifelsfall mit Klirren und Krachen.
Gibt es einen Trick? Vielleicht: den Kontakt, der zu einer fliessenden und unmittelbaren Bewegung aus dem eigenen Zentrum heraus führt. Zusammen mit einem guten Wissen über das, was überhaupt physikalisch möglich ist, wohin der andere also mitgehen kann und wird. Dieses leitende, wendende Mitgehen macht ruckhafte Reaktionen unnötig. Wenn man dann irgendwann mal einen Zugang dazu findet.