Immer wieder versuchen

“Ukemi ist sehr schwer: Man übt einen beständigen Druck auf den Partner (Tore) aus, während der Technik, und auch danach kommt Uke immer wieder. Tore muss aus dem Druck nur etwas machen.”

“Hinfallen ist nicht schlimm. Schlimm ist, wenn man nicht wieder aufstehen mag.”

“Man muss bereit sein, leicht nachzugeben, um nicht aufgeben zu müssen”

“Einen Stock kann man brechen. Wasser oder Luft nicht.”

“Wenn ich keine Kraft gegen den Partner aufbringe, hat er nichts, woran er mich packen kann”

“Bei diesen Übungen kann man lernen: Die Art, wie ich denke, beeinflusst meinen Körper – um mehr Kraft zu bekommen, muss ich nicht Gewichte stemmen, ich kann auch anders denken.”

“Als erstes geht man aus dem Weg, stellt sicher, dass man nicht von der vollen Gewalt des Angriffs getroffen wird”

“Ein Laster kann 800 PS haben und fliegt trotzdem aus der Kurve. Und wenn seine Räder 1cm über dem Boden sind, ist es egal wie stark und schnell sie sich drehen.”

“Ihr werdet nicht nur von einer Hand angegriffen. Der andere Arm des Angreifers ist auch lebendig. Seine Beine auch.”

“Man kann Aikido, Budo auch so üben, dass die eigene Bewegung unabhängig vom anderen ist – man richtet seinen Willen fest aus, setzt seine volle Kraft dahinter, so dass der andere garantiert besiegt ist, selbst wenn man es selbst nicht überlebt. Früher sind bei Duellen oft beide Samurai gestorben. Es gibt eine Legende, nach der ein Samurai seinen Gegner noch erschlagen hat, nachdem der ihn schon geköpft hatte, weil sein Körper so von diesem Willen erfüllt war. Wie in einer Bürokratie, wo die kleinen Beamten die Vorschriften umsetzen, auch wenn der Chef das schon gar nicht mehr will.”
“Bei der anderen Art zu üben bleibt man im Kontakt mit dem Partner. Das macht mehr Spaß zu üben.”

(nach einer längeren Ausführung…) “Amen”

notiert am 23.6. und 24.6. bei Ali Nasseri in Hamburg

Gehemmt und Gestört

In der vorletzten brandeins (Schwerpunkt Kreativität) gab es einen lesenswerten Artikel von Wolf Lotter dazu, wie die traditionellen engen Organisations- und Kontrollstrukturen (personifiziert durch die Gehemmten) keinen Platz für die Entfaltung von Kreativität lassen (denn die ist ein zartes Pflänzchen). Kreativität aber brauchen wir als Wirtschaftsfaktor, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

Ich glaube, jeder von uns hat schonmal das Gefühlt gehabt: wir werden ständig bei der Arbeit gestört, und die anderen hemmen uns bei der Umsetzung unserer guten Ideen, weil sie uns nicht verstehen oder zu langsam sind, und lieber den bewährten Kram weitertreiben. Also sind wir alle Gestörte, und alle anderen (d.h. ebenfalls wir alle) sind Gehemmte. Das nimmt schonmal das Gewicht aus dieser Dichotomie.

Nun kann man sich auch als Gestörter mal fragen, ob es sich gerade lohnt, sich von einem neuen Impuls von aussen aus der Bahn bringen zu lassen; ob man wirklich schneller als die anderen ist (auf einer linearen Bahn gedacht), oder ob man gerade auf einem Vektor davontrudelt, dem die anderen aus gutem Grund nicht folgen wollen. Und ob der Verständlichkeit vielleicht eine bessere und geduldigere, auf den anderen eingehende Kommunikation zugute käme. Und ob das, was da als Unverständnis wahrgenommen wird, nicht einfach ein anderer Standpunkt ist, den man gerade nicht hören möchte. Wirklich gute Ideen bleiben auch mit Bodenkontakt noch gute Ideen.

Der Artikel stellt solche Fragen nicht – es geht gerade darum, die Hürden zu senken, mehr Brainstorming zu erlauben, um den output zu erhöhen.

Sehr gefiel mir an dem Artikel der Appell zu Offenheit für neue Ansätze, und Vertrauen – Leute machen lassen, auch wenn man nicht 100% versteht, was abgeht, oder sicher sein kann, dass es irgendwohin führt. Nach welchen Kriterien man nun sein Vertrauen (und damit sein Geld) verteilen soll bleibt leider offen. Vielleicht ist gemeint: allgemein mehr Mut, mehr wagen, die Temperatur hochdrehen, mehr schöpferische Zerstörung? Lösungen zulassen, die den engen Rahmen sprengen, solange sie dem größeren Rahmen zuträglich sind?

Ziemlich offen bleibt auch das Problem der Koordination – es geht immer darum, dass “jemand ein Problem weitgehend eigenständig, neu lösen” kann, aber wer zerlegt denn die Probleme in solche handlichen Häppchen, die immernoch genug Raum für eigenständige Lösungen bieten? Rituale (man denke an Scrum’s tägliche 15-minute stand up meeting) sind bekanntlich ein wirksames Mittel zur Koordination und zur Bildung von Gemeinschaften, in dem Artikel werden Rituale aber als Symptom des Gehemmtseins gehandelt.

Genauso beiseitegewischt wird die Handarbeit, die der Autor offenbar unterschätzt. Ja, bei der Handarbeit bleibt ein physikalisches Ergebnis, das selbst dem Gehemmtesten als sichtbares Ergebnis dient. Über die Qualität sagt das noch lange nichts – das Produkt eines Spitzenkochs und das des Curry-Grills an der Ecke wiegen etwa gleich viel, genauso wie der Bericht eines Unternehmensberater äußerlich nicht zu unterscheiden ist von 100 Seiten voll mit “All work and no play makes Jack a dull boy”. Man kann sogar argumentieren, dass Handarbeit einen ganzheitlicheren Einsatz des Menschen erlaubt als die Fingerspitzen-Massage, die wir täglich an der Tastatur betreiben, und damit auch mehr Möglichkeiten bietet, Nuancen abzubilden und differenzierte Lösungen zu finden.

Und – wie ein Leserbrief in der nächsten Ausgabe anmerkt – genauso wie die kreative Freiheit bleibt in der geschilderten “Gestörten” Utopie das komplette Risiko bei dem oder der Einzelnen hängen. Von Solidarität, Risiko-Verteilung, Unterstützung kein Wort.

Absolut enttäuscht hat mich das Fazit, wir bräuchten einfach mehr Unternehmer. Darf ich brandeins bitte auch als Angestellter lesen?

Industriekultur

Ein Besuch auf der Zeche Zollverein.

Beeindruckend, wie viel Material da physisch bewegt wurde, riesige Anlagen, erst mit Millioneninvestition aufgebaut, und dann einfach abgeschaltet, als sie ökonomisch uninteressant wurden. Wenn Büroarbeiter derart umstrukturiert werden, bleibt kein solches Denkmal zurück. Hier wie dort setzt schnell der Verfall ein, wenn die Prozesse einmal gestoppt sind, einfach dort weitermachen wo man aufgehört hat ist nicht drin. So eine Entscheidung zu treffen ist schon krass.

Erkaltet und Gesprungen

Don’t look, just sea

Meister Koretoshi Maruyama ist einer der wenigen noch lebenden direkten Schüler von O Sensei. Maruyama hat nach seiner Zeit im Aikikai lange bei Tohei gelernt, der sehr viel Wert auf Ki legt, und sich danach verstärkt dem Heilen und der Meditation gewidmet. Letztes Wochenende war er in Hamburg.

Maruyama ist ein unheimlich netter, geradzu charmanter Mensch, macht auch mal Quatsch, flirtet mit seinem Uke, hat ein sehr offenes Lächeln. Die Techniken lässt er meist nur sehr kurz üben, gerade so, dass jeder es einmal gemacht hat – dafür zeigt und erklärt er sehr viel, auch viel verschiedenes, benutzt ein Flipchart, zeigt Fotos, redet und zeigt Bewegungen. Meine Deutung: Wenn der Meister nur einmal im Jahr aus Tokyo eingeflogen kommt, muss er halt das komplette Programm innerhalb von zwei Tagen zeigen. Üben kann man dann die anderen 363 Tage des Jahres. (anders bei Asai, den wir einerseits als lebendiges Beispiel regelmäßig sehen, bei dem man andererseits mehr “mit den Augen klauen” muss)

Es geht viel um Dehnung/Streckung und Offenheit, und um die Verteilung von Ki, der Aufmerksamkeits-Energie, die jeder Bewegung vorweggeht. Beides hängt natürlich zusammen – sein Ki ausstrecken kann man nur, wenn man sich nicht selbst blockiert.

“Don’t look, just see” – oder “just sea” ? Wenn man auf den Ozean schaut, hat man einen sehr weiten Horizont in alle Richtungen. Das Ki breitet sich in alle Richtungen aus. Wenn ein Schiff kommt, und man zoomt/fokussiert die Aufmerksamkeit darauf, dann geht die Rundum-Aufmerksamkeit verloren. Erster Schritt: Augen im Hinterkopf: “Nach links gucken” (mit den Augen im Hinterkopf) => den Kopf nach rechts drehen. Diese Übung schafft Bewusstsein dafür, wohin der Hinterkopf schaut (man kriegt ein eigenartiges Gefühl in der Muskulator im Nacken und unter der Kopfhaut). Nächster Schritt: Mit den Augen im Hinterkopf nach vorn fokussieren – die Aufmerksamkeit bleibt dennoch in alle Richtungen. Ein paar Ki-Tests: Stabilität durch Schieben an der Schulter prüfen, Schieben hinten gegen das Zentrum, unbeugbarer Arm (“unbendable arm”) – wenn das Ki aufrechterhalten wird, steht man sicher.

Wenn man ein Buch liest und nur die Augen darauf richtet, aber nicht das Ki, dann versteht man nichts. Wenn man hingegen vollkommen davon absorbiert wird, merkt man nicht, wenn jemand hinter einen tritt, weil das Ki auf den kleinen Ausschnitt vor einem fokussiert ist (jeder Computer-Arbeiter kennt dieses Phänomen zur Genüge). Maruyama meint, selbst beim Lesen kann (sollte?) man versuchen, mit der Aufmerksamkeit rundum im Hier und Jetzt zu bleiben (den Überblick, den Bezug zur Realität zu wahren?).

Maruyama sagt, man solle immer daran denken, welche Muskeln gestreckt (gedehnt) werden, nicht welche zusammengezogen werden. Z.B. wenn man sich beim Rollen rund macht, den Rücken strecken und wenn man beim Aufstehen wieder gerade wird den Brustkorb dehnen. (Also auch und gerade dann, wenn man viel Kraft einsetzt, entspannen und dehnen!)

Aufwärmübung: Handflächen zusammen, heruntertauchen und in einer Kreis nach vorn wieder hochkommen. Dabei darauf achten, wie beim Heruntergehen der Rücken und die Rückseite der Beine gestreckt werden und beim Hochkommen Unterschenkel, Oberschenkel, Bauch. Die Übung gibt’s auch umgekehrt, auch mit liegendem Kreis (links raus – rechts wieder rein, dehnt die Schulterblätter) etc. Dadurch, dass auch die großen Muskeln in Rücken und Oberschenkel arbeiten, wird man schön warm – eine erhöhte Körpertemparatur soll sehr gesund sein.

Stärke und Kraft sehen wir normalerweise nur in der äußeren Muskulatur (Bizeps, Trizeps, großer Brustmuskel, Oberschenkel etc.). Diese Muskeln lassen im Alter unweigerlich nach – spätestens wenn man 70 ist (so wie Maruyama!) muss die Kraft aus den inneren Muskelschichten kommen, die entwickeln sich auch im Alter noch weiter, und sind für die Haltung sehr wichtig, auch wenn sie keine so großen Bewegungen machen. Z.B. die Verbindung zwischen unterem Rücken und Oberschenkel, und in der Schulter und an den Schulterblättern.

Nikkyo: den eigenen Rücken strecken, die inneren Muskeln der Schulter benutzen. Ich versuche das umzusetzen und habe das Gefühl, das Ki läuft in einer Welle vom hinteren unteren Rücken bis über die eigene Schulter in den Partner, und die Technik wirkt ohne Zwang. Erstaunlich.

Irimi Nage, wenn man hinter dem Partner steht: den ausgestreckten Arm des Partners nicht wegschlagen, dann bliebe er hart. Vorstellung: Ein Gewicht fällt aus dem Himmel, der eigene Arm liegt/fällt mit dem ganzen Gewicht auf den Arm des Partners (Handflächen oben) und zieht ihn um. Ähnlich bei der Hand im Nacken: nicht in den Nacken schlagen, dann wird der Partner hart und steif, sondern sanft sein und führen – z.B. am Kopf, oberhalb der Ohren. Maruyama zeigt, wie man mit einer ähnliche Bewegung alten oder schwachen Menschen beim Aufstehen helfen kann.

Zum Abschluss das aus meiner Sicht schönste Bild dieses Lehrgangs: Wenn ein Wind von der einen Seite kommt und einer von der anderen, dann knallen sie nicht so aufeinander wie zwei Fäuste, sondern sie drehen sich umeinander und bilden einen Sturm. (Kann man Aikido besser beschreiben?)

Insgesamt ein Lehrgang voller Anregungen, und zum Nachvollziehen zu Hause gibt’s noch eine DVD.