Fallen

Beim Fallen geht es im Aikido darum, das unvermeidliche zu akzeptieren und aktiv mitzugestalten.

Wenn ich (richtig) geworfen werde, führt jeder Versuch, mich zu sperren, nur zu Schmerzen. Der Werfende ist im wahrsten Sinne des Wortes am längeren Hebel: Große Muskeln gegen kleine Muskeln, Gelenke im optimalen Funktionsbereich gegen Gelenke am Limit, stabiler Stand gegen unsicheres Gleichgewicht.

Nach unten geht es so oder so; oder vielleicht bleibe ich oben, um den Preis, dass meine Sehnen überdehnt werden. (Oder beim Aikido-Training wahrscheinlicher: Der Werfende bemerkt rechtzeitig, dass ich nicht mitgehe, und bricht die Übung ab.)

Mit einem klaren Bild davon, wie man heil nach unten kommt, bleibt man erstens unverletzt und zweitens nicht lange unten. Die Rollen im Aikido sind darauf ausgelegt, einen möglichst schnell wieder auf die Beine zu bekommen, um erneut angreifen (oder fliehen) zu können. Und auch im Aikido gibt es Gegentechniken: Wenn ich als Fallender so gut mitgegangen bin, dass ich meine Integrität (R.Keller) bzw. Souveränität (W.Sambrowski) gewahrt habe, bin ich in der Position, eine Schwäche des Werfenden zu nutzen und die Rollen umzukehren.

Fallen erfordert Mut. Die Demut, zu akzeptieren, dass man nicht aufrecht stehenbleiben kann; die Zuversicht, mit der Situation umgehen zu können; das Vertrauen in den Werfenden, dass er mich wirklich werfen will (und kann) und nicht meine Gelenke kaputtmacht (mit oder ohne Absicht); die Selbstachtung, selbst im freien Fall nicht alles aufzugeben; und die Bescheidenheit, nicht möglichst hart und spektakulär, sondern möglichst sanft zu landen.

“Da kann man mal drüber nachdenken.” (R.Kügler)

Sog

Durch seinen Angriff schafft der Angreifer eine Verbindung, die ihn in eine Abhängigkeit bringt. Der Angriff führt mit verfestigtem Willen auf ein Ziel, das der Angegriffene vorgibt – nämlich den Angegriffenen selbst.
Im Aikido nutzen wir das ganz praktisch aus. Die Ausweichbewegung wird so gestaltet, dass der Angreifer sich immer tiefer verstrickt. Um in seinem Angriff erfolgreich zu sein, muss der Angreifer kleine Bewegungen des Verteidigers ausgleichen. Aber wie lange ist eine Bewegung noch klein? Die Ausweichbewegung beginnt ganz sanft und führt zu einer ebenso sanften (und unbewussten) Korrektur beim Angreifer, die ihn aber zunehmend von der ursprünglichen Bahn abbringt. Wenn der Angreifer dennoch am Ball bleibt, befindet er sich irgendwann komplett unter Kontrolle des ursprünglich Angegriffenen. Wenn er den Angriff abbricht, läuft er Gefahr, mit seinem Rückzug auch gleich einen Gegenangriff mitzuziehen, denn die Verbindung besteht ja noch.
Das ist so die Theorie, und das wird auch geübt.
Der Sog ist spürbar. Als Angreifer willst Du greifen, schlagen, halten, und findest nur ein Loch, wirst emporgezogen, gedreht, und alles ohne eine Kraft zu spüren, gegen die Du Dich wehren könntest.
Die Verbindung funktioniert manchmal. Aber wenn der Angreifer zu starr ist, ist es schwer, ihn mitzunehmen. “Du fällst wie eine Eiche”, sagt Ronald zu meinem Trainingpartner, nachdem der voll gegen meinen ausgestreckten Arm gelaufen und umgefallen ist. Entweder braucht man für solche Fälle harte Gegentechniken – wer starr ist, lässt sich ja gut als ganzes “Werkstück” bearbeiten – , oder man muss Wege finden, auch den verhärtetsten Gegner aufnehmen zu können.