Ohrwurm, Armwurm

Wer kennt ihn nicht, den Ohrwurm: Ein Lied hat sich im Kopf eingenistet und läuft auf “Heavy Rotation” wie ein Hit im Radio – unwillkürlich geht der Geist den Song immer wieder durch, man hat das Gefühl, den Song fast zu hören.
Als ich letztens zur Arbeit marschierte, fiel mir auf, wie da so ein eigenartiges Gefühl von meiner einen Hand zur anderen und zurück wanderte. Der ganze Arm wurde abwechselnd total leicht, als wollte er hochschweben, und gehorchte dann wieder der Gravitation. Spooky. Was war da los? Am Tag vorher hatte ich mit dem Stock geübt, und mein Körper war wohl immernoch so begeistert davon, wie sich das Bewegungsmuster anfühlt.
Das ist toll. Ich mag es, wenn die Vorstellung so klar wird, dass sie direkt zum Abruf bereitsteht. Nur blöd, wenn der eine Song, die eine Bewegung so übermächtig wird, dass sie den Geist gefangennimmt und man willenlos gerade diese Prozedur weiter abspulen muss. Da hilft nur: Ganz ganz viele Prozeduren gleichzeitig präsent haben. Und dafür hilft nur: eine nach der anderen tief verinnerlichen. Immer weiter üben.

Ki in die Beine schicken!

Vier Wochen lang habe ich jetzt das Aikido-Training geschwänzt… Und bin auch noch stolz drauf: auf einen Durchschnitt von über 35km/h auf 100km bei meinem ersten Radrennen, mit einer Zeit unter drei Stunden (2:48:30) und einer Platzierung oberhalb des Altersklassen-Durchschnitts. Das war natürlich nur möglich, weil meine Teamkollegen mich so kräftig gezogen haben – wir sind tatsächlich bis zur Köhlbrandbrücke zusammengeblieben. Für die Aussicht oben habe ich mir dann etwas mehr Zeit genommen…

Ich kann mir gut vorstellen, dass der Zustand “Fahrradrennen” süchtig macht. Wenn alle um Dich herum über 40 km/h auf ebener Erde fahren, findest Du’s irgendwann total normal – Dank Windschatten und passender Ausrüstung kann das geradezu gemütlich sein. Das Gefühl, in einer Rotte gleichgesinnter ungestört von Ampeln und Autos über breite und gut asphaltierte Straßen zu sausen, ist kaum zu beschreiben. Es geht auf jeden Fall schnell, und ist dann viel zu schnell vorbei.

Wir fahren!

Sobald ich mich ein bisschen erholt hab geht’s aber zurück ins Dojo – um mal die unwichtigsten Gründe zu nennen: mein geliebtes Aikido tut was für den ganzen Körper und nicht nur für die Beine, die Stürze sind kontrollierter, und man kann trotz Hamburger Schmuddelwetter regelmäßig trainieren.

Immer wieder versuchen

“Ukemi ist sehr schwer: Man übt einen beständigen Druck auf den Partner (Tore) aus, während der Technik, und auch danach kommt Uke immer wieder. Tore muss aus dem Druck nur etwas machen.”

“Hinfallen ist nicht schlimm. Schlimm ist, wenn man nicht wieder aufstehen mag.”

“Man muss bereit sein, leicht nachzugeben, um nicht aufgeben zu müssen”

“Einen Stock kann man brechen. Wasser oder Luft nicht.”

“Wenn ich keine Kraft gegen den Partner aufbringe, hat er nichts, woran er mich packen kann”

“Bei diesen Übungen kann man lernen: Die Art, wie ich denke, beeinflusst meinen Körper – um mehr Kraft zu bekommen, muss ich nicht Gewichte stemmen, ich kann auch anders denken.”

“Als erstes geht man aus dem Weg, stellt sicher, dass man nicht von der vollen Gewalt des Angriffs getroffen wird”

“Ein Laster kann 800 PS haben und fliegt trotzdem aus der Kurve. Und wenn seine Räder 1cm über dem Boden sind, ist es egal wie stark und schnell sie sich drehen.”

“Ihr werdet nicht nur von einer Hand angegriffen. Der andere Arm des Angreifers ist auch lebendig. Seine Beine auch.”

“Man kann Aikido, Budo auch so üben, dass die eigene Bewegung unabhängig vom anderen ist – man richtet seinen Willen fest aus, setzt seine volle Kraft dahinter, so dass der andere garantiert besiegt ist, selbst wenn man es selbst nicht überlebt. Früher sind bei Duellen oft beide Samurai gestorben. Es gibt eine Legende, nach der ein Samurai seinen Gegner noch erschlagen hat, nachdem der ihn schon geköpft hatte, weil sein Körper so von diesem Willen erfüllt war. Wie in einer Bürokratie, wo die kleinen Beamten die Vorschriften umsetzen, auch wenn der Chef das schon gar nicht mehr will.”
“Bei der anderen Art zu üben bleibt man im Kontakt mit dem Partner. Das macht mehr Spaß zu üben.”

(nach einer längeren Ausführung…) “Amen”

notiert am 23.6. und 24.6. bei Ali Nasseri in Hamburg

Don’t look, just sea

Meister Koretoshi Maruyama ist einer der wenigen noch lebenden direkten Schüler von O Sensei. Maruyama hat nach seiner Zeit im Aikikai lange bei Tohei gelernt, der sehr viel Wert auf Ki legt, und sich danach verstärkt dem Heilen und der Meditation gewidmet. Letztes Wochenende war er in Hamburg.

Maruyama ist ein unheimlich netter, geradzu charmanter Mensch, macht auch mal Quatsch, flirtet mit seinem Uke, hat ein sehr offenes Lächeln. Die Techniken lässt er meist nur sehr kurz üben, gerade so, dass jeder es einmal gemacht hat – dafür zeigt und erklärt er sehr viel, auch viel verschiedenes, benutzt ein Flipchart, zeigt Fotos, redet und zeigt Bewegungen. Meine Deutung: Wenn der Meister nur einmal im Jahr aus Tokyo eingeflogen kommt, muss er halt das komplette Programm innerhalb von zwei Tagen zeigen. Üben kann man dann die anderen 363 Tage des Jahres. (anders bei Asai, den wir einerseits als lebendiges Beispiel regelmäßig sehen, bei dem man andererseits mehr “mit den Augen klauen” muss)

Es geht viel um Dehnung/Streckung und Offenheit, und um die Verteilung von Ki, der Aufmerksamkeits-Energie, die jeder Bewegung vorweggeht. Beides hängt natürlich zusammen – sein Ki ausstrecken kann man nur, wenn man sich nicht selbst blockiert.

“Don’t look, just see” – oder “just sea” ? Wenn man auf den Ozean schaut, hat man einen sehr weiten Horizont in alle Richtungen. Das Ki breitet sich in alle Richtungen aus. Wenn ein Schiff kommt, und man zoomt/fokussiert die Aufmerksamkeit darauf, dann geht die Rundum-Aufmerksamkeit verloren. Erster Schritt: Augen im Hinterkopf: “Nach links gucken” (mit den Augen im Hinterkopf) => den Kopf nach rechts drehen. Diese Übung schafft Bewusstsein dafür, wohin der Hinterkopf schaut (man kriegt ein eigenartiges Gefühl in der Muskulator im Nacken und unter der Kopfhaut). Nächster Schritt: Mit den Augen im Hinterkopf nach vorn fokussieren – die Aufmerksamkeit bleibt dennoch in alle Richtungen. Ein paar Ki-Tests: Stabilität durch Schieben an der Schulter prüfen, Schieben hinten gegen das Zentrum, unbeugbarer Arm (“unbendable arm”) – wenn das Ki aufrechterhalten wird, steht man sicher.

Wenn man ein Buch liest und nur die Augen darauf richtet, aber nicht das Ki, dann versteht man nichts. Wenn man hingegen vollkommen davon absorbiert wird, merkt man nicht, wenn jemand hinter einen tritt, weil das Ki auf den kleinen Ausschnitt vor einem fokussiert ist (jeder Computer-Arbeiter kennt dieses Phänomen zur Genüge). Maruyama meint, selbst beim Lesen kann (sollte?) man versuchen, mit der Aufmerksamkeit rundum im Hier und Jetzt zu bleiben (den Überblick, den Bezug zur Realität zu wahren?).

Maruyama sagt, man solle immer daran denken, welche Muskeln gestreckt (gedehnt) werden, nicht welche zusammengezogen werden. Z.B. wenn man sich beim Rollen rund macht, den Rücken strecken und wenn man beim Aufstehen wieder gerade wird den Brustkorb dehnen. (Also auch und gerade dann, wenn man viel Kraft einsetzt, entspannen und dehnen!)

Aufwärmübung: Handflächen zusammen, heruntertauchen und in einer Kreis nach vorn wieder hochkommen. Dabei darauf achten, wie beim Heruntergehen der Rücken und die Rückseite der Beine gestreckt werden und beim Hochkommen Unterschenkel, Oberschenkel, Bauch. Die Übung gibt’s auch umgekehrt, auch mit liegendem Kreis (links raus – rechts wieder rein, dehnt die Schulterblätter) etc. Dadurch, dass auch die großen Muskeln in Rücken und Oberschenkel arbeiten, wird man schön warm – eine erhöhte Körpertemparatur soll sehr gesund sein.

Stärke und Kraft sehen wir normalerweise nur in der äußeren Muskulatur (Bizeps, Trizeps, großer Brustmuskel, Oberschenkel etc.). Diese Muskeln lassen im Alter unweigerlich nach – spätestens wenn man 70 ist (so wie Maruyama!) muss die Kraft aus den inneren Muskelschichten kommen, die entwickeln sich auch im Alter noch weiter, und sind für die Haltung sehr wichtig, auch wenn sie keine so großen Bewegungen machen. Z.B. die Verbindung zwischen unterem Rücken und Oberschenkel, und in der Schulter und an den Schulterblättern.

Nikkyo: den eigenen Rücken strecken, die inneren Muskeln der Schulter benutzen. Ich versuche das umzusetzen und habe das Gefühl, das Ki läuft in einer Welle vom hinteren unteren Rücken bis über die eigene Schulter in den Partner, und die Technik wirkt ohne Zwang. Erstaunlich.

Irimi Nage, wenn man hinter dem Partner steht: den ausgestreckten Arm des Partners nicht wegschlagen, dann bliebe er hart. Vorstellung: Ein Gewicht fällt aus dem Himmel, der eigene Arm liegt/fällt mit dem ganzen Gewicht auf den Arm des Partners (Handflächen oben) und zieht ihn um. Ähnlich bei der Hand im Nacken: nicht in den Nacken schlagen, dann wird der Partner hart und steif, sondern sanft sein und führen – z.B. am Kopf, oberhalb der Ohren. Maruyama zeigt, wie man mit einer ähnliche Bewegung alten oder schwachen Menschen beim Aufstehen helfen kann.

Zum Abschluss das aus meiner Sicht schönste Bild dieses Lehrgangs: Wenn ein Wind von der einen Seite kommt und einer von der anderen, dann knallen sie nicht so aufeinander wie zwei Fäuste, sondern sie drehen sich umeinander und bilden einen Sturm. (Kann man Aikido besser beschreiben?)

Insgesamt ein Lehrgang voller Anregungen, und zum Nachvollziehen zu Hause gibt’s noch eine DVD.

Dirk Müller

“Wenn Du die Nuss geknackt hast, musst Du den Kern auch geniessen.”

Ikkyo runterführen: “Impuls reingeben und sich entfalten lassen, dabei im Kontakt bleiben, um reagieren zu können. Nicht sofort aggresiv hinterhergeben, um zu erzwingen, dass es passiert.”

“Natürlich ist es spektakulär, hart zu fallen… aber die Knochen zählen mit.”

“Wenn Du Deine Reichweite voll ausschöpfst, bist Du ganz am Ende – dann hast Du keine Möglichkeiten mehr. Das kann sehr viel Energie übertragen, wenn es direkt ins Zentrum geht. Aber das ist selten…”

Beim Kotegaeshi: “Die Handfläche des Partners strahlt zu seinem Zentrum zurück”

Beim Angriff Yokomen: “Die Technik wird nicht an der Hand, sondern an den Füssen entschieden – wer aussen ist, hat die bessere Position”

Rückwärtsrolle: “Erstens sieht’s blöd aus und zweitens wirkt’s nicht, weil man den Partner zu lange nicht sieht” – demonstriert: läuft hinterher, Tritt beim Aufstehen

notiert am 12.5.7 im Aikido-Dojo Bremen

Ken Morinaga im ShoShin Dojo

Ken Morinaga ist vollberuflicher Aikido-Meister und dazu noch Original Japaner(tm) – Grund genug, mal einen Lehrgang bei ihm zu besuchen. Sein Aikido hat er bei Yamaguchi und Takeda gelernt, dazu kommt noch Taiji. Ich war also darauf vorbereitet, mal eine andere Perspektive einzunehmen als beim Aikikai/Asai-Stil.

Ken hatte einige hübsche Metaphern und Vergleiche im Gepäck. Grundlegend: “Viele verwechseln weich mit schwach, und stark mit starr”. Das bringt’s so dermaßen gut auf den Punkt – typische Abfolge: man versucht, die Technik weich auszuführen, macht sie stattdessen schwach, dann klappt sie nicht, man denkt sich “dann aber jetzt richtig” und macht sie starr und verkrampft, was dann auch nicht klappt (oder nur unter Schmerzen). Weich und Stark, wie cool, wie diese Kung Fu-Weisheit “sei wie das Wasser, das den Felsen aushöhlt”.

Ganz praktisches Beispiel: Beide Arme werden gepackt. Statt abzublocken nimmt man den Angriff auf, aber lässt auch nicht alles mit sich machen. Denn wenn man sich die Arme zu weit nach hinten führen lässt, gerät man in eine sehr ungünstige Position (z.B. Arme auf dem Rücken). Man muss schon vorher irgendwie tätig geworden sein: wegdrehen, hochführen, den anderen seitlich kippen, etc.

Umgekehrt ein Beispiel zum Thema stark/starr beim Festhalten: Nicht die ganze Zeit mit voller Kraft festhalten, das kann man nicht mehr steigern; stattdessen fest genug, dass man spürt, was der andere macht, und im letzten Augenblick dann richtig fest, so ein Griff ist sehr schwer zu lösen.

Bei den Aufwärm/Atemübungen streichen wir oft die Arme aus (mit der anderen Hand von oben bis zu den Fingerspitzen). Ken hatte dafür eine interessante Deutung: Man kann es als Erinnerung verstehen, die Arme nicht zu blockieren, sondern die Energie frei nach aussen fliessen zu lassen. Und tatsächlich: man kann spüren, wie die Muskeln sich mit der Bewegung entspannen. “Eine Möglichkeit”. Eine weitere spätere Deutung: Mit derselben lockeren Bewegung kann man auch einen Griff abstreifen. Wenn der andere nicht spürt, wann der Griff gelöst wird, verpasst er den “letzten Augenblick” zum Festhalten.

Für mich ungewohnt war, dass Ken viel vom “Ziehen” sprach (alternativ “Saugen”) – Asai schickt immer nur nach aussen. Das scheint mit Kens Taiji-Bildung zu tun zu haben – im Taiji trainiert man nicht nur den äußeren, sondern auch den inneren Kreis, d.h. wie man Energie aufnimmt, komprimiert, speichert, ohne sich dabei zu verkrampfen.

Das mechanische Bild dazu war das Gummiband (beim Ziehen) und die Feder (beim Schieben). Ok, also geschmeidig bleiben. Mechanische Bilder finde ich immer etwas trostlos, weil sie mir wenig darüber sagen, wie es sich anfühlt – was weiss ich denn, wie es einer Stahlfeder so geht.

Mysteriös und spannend waren die Schiebe-Übungen – ein wenig wie das aus anderen Kampfkunstarten bekannte Push Hands. Theorie dazu: “wenn der andere stark entgegengeht, nachlassen, so dass er ein Loch spürt, in das er unfreiwillig hineinrutscht, daher zuckt er wieder leicht zurück, darin wieder mitgehen” => Netto Raumgewinn. Dass das funktioniert, erfordert natürlich jede Menge Erfahrung und Geschicklichkeit: man tausche einfach mal die Rollen in der Beschreibung, dann wird das “Nachlassen” zum “Zurückzucken” und es gibt stattdessen einen Netto Raumverlust.

Der Aspekt des Kontakts ist für diese Schiebe- und Gleichgewichtsübungen offenbar zentral. Erklärung dazu: “Eins werden (Ai+Ki), wie Zahnräder, die ineinander greifen – wenn eins sich bewegt, muss das andere sich mitbewegen”. Insbesondere bei Kokyo Nage kann man erst werfen, wenn Kontakt da ist.
Bei einer Übung nimmt man den auf sich zustürmenden Partner auf und führt ihn kurz vor der Kollision hoch – und der Partner fliegt. Über den Kontakt entsteht eine unwillkürliche Komplizenschaft, die Energie läuft zusammen, und das Ergebnis lässst sich physikalisch kaum noch erklären. In Aikido-Sprech: “Das Ki wird hochgeführt”.

Ein schönes Bild hatte Ken auch dafür, wie man eigentlich wirft. Bei Asai heisst es einfach “werfen Sie bis ganz hinten, an die Wand” – auch wenn es physikalisch offenbar unmöglich ist, den Körper bis dahin zu werfen, soll die Bewegung doch weiterführen und nicht vorher schon aufgeben. Ken vergleicht das mit einer Flasche, in der eine Flüssigkeit ist – man bringt die Flasche in Schwung, stoppt sie dann an, und die enthaltene Flüssigkeit schwappt weiter in die Richtung. Anderes Bild: Ein Bus mit Fahrgästen drin bremst, und die Fahrgäste taumeln noch ein paar Schritte in der Fahrtrichtung weiter.

Ken erklärte (wie wir es von Asai kennen) ein paar Techniken durch das Schwert: man denkt sich bei der Bewegung ein Schwert, dessen Schwertspitze man bewegt. Dadurch wird Bewusstsein geschaffen für die Drehachsen, die Gleichmäßigkeit der Bewegung, und für den Schwerpunkt, und man verbeisst sich nicht in die Stelle, an der der Partner einen gefasst hat.

Technisch und uninteressant fand ich den Monolog darüber, dass der Uke nicht (wie “andere Schulen” sagen) unbedingt mit einer bestimmten Seite angreifen müsse, wenn Tore mit einer bestimmten Seite vorn steht. Wir lernen noch, und das ist eine Konvention, die uns beim Üben hilft, OK?

Zum Abschluss noch eine wunderschöne Beschreibung für eine an sich bekannte Atemübung: Die Arme gehen zusammen in der Mitte hoch und dann im großen Kreis aussen wieder nach unten. “Wie ein Feuerwerk”.

Schmerztraining mit Meister Asai

Über Ostern war Meister Asai für einen viertägigen Lehrgang in Hamburg. Auf 450 m2 Matte verteilten sich 150 Aikidoka, davon mehr als die Hälfte Dan-Träger. Super Gelegenheit, um sich viele viele Tipps abzuholen von verschiedensten Leuten, die es wissen sollten, zumal Meister Asai einen kleinen Vortrag im Gepäck hat zum Thema “Wir waren alle mal Anfänger” und “Trainieren Sie mit unangenehmen Partnern, geben sie ein gutes Gefühl”. Als ungeschickter Anfänger bin ich wahrscheinlich einer der “unangenehmen Partner”…

Wie immer faszinierend ist das Spektrum körperlicher Dimensionen – meine Trainingspartner in diesen vier Tagen wiegen geschätzt zwischen 45 und 145 kg und sind zwischen 140 und 210 cm lang. Und bewegen können sie sich alle – die DIN-Norm für Sportlerkörper spielt hier keine Rolle. Asai meint: Normaler Erwachsener – ob breit oder schmal, lang oder kurz – Sie haben Kraft genug. Sie müssen nur 100% geben. Nicht blockieren. Kraft nach außen schicken.

Die meisten Techniken, die Asai zeigt, hat man hier oder da schon gesehen. Wie er erklärt, ist das kein Problem – wenn jemand zu ihm sagt, “Die Technik kennen wir schon”, dann sagt er “schön, dann zeigen Sie”, und natürlich sieht’s dann nicht richtig aus. Zu wissen, wie eine Bewegung geht, ist etwas ganz anderes, als sie zu kennen/können. Da hilft nur immer wieder üben.

So üben wir ausführlich den Nikkyo: Das Handgelenk wird angewinkelt und ordentlich verdreht, bis die Sehnen elastisch am Anschlag sind, und dann wird durch den Schmerz und das blockierte Gelenk geführt. Asai sagt, natürlich ist das schmerzhaft, deswegen machen wir die Technik ja so, aber man kann sich dran gewöhnen, und mit den Jahren wird man weicher und kann den Schmerz akzeptieren. Einer meiner Trainingspartner erzählt, sie hätten früher so geübt, dass sie nicht abklopfen durften, auch wenn es noch so sehr weh tat. Entsprechend ist er komplett unbeeindruckt von meinen Versuchen; seine Technik bei mir fühlt sich an wie ein Zahnarztbesuch: Der krasseste Schmerz, den ich mir in den letzten Jahren freiwillig habe antun lassen, dann wird die Hand taub, und nach ein paar Minuten kommt prickelnd wieder etwas Gefühl in die Finger. Vieles im Aikido ist sehr gesund, ich fürchte, diese Übung gehört nicht dazu.

Auch Asai sagt, nicht alles könne man üben. Eine Technik enthält einen Hebel, der gegen das Ellbogengelenkt wirkt. Dehnung hilft hier nicht weiter, deswegen üben wir diese Technik auch sehr selten.

Eine meiner Trainingspartnerinnen meint, einige Lehrer hätten geradezu perverse Lust an Schmerzen. S/M-Tendenzen steigern sicher die Lust am Yonkyo, den wir eine Weile üben. Der Knöchel des Partners drückt dabei auf einen Akkupressur-Punkt am Unterarm, dort wo Arterien, Sehnen, Muskelansätze und Nerven schön ungeschützt an der Oberfläche liegen. Asai meint, der Yonkyo “tut weh, was?”, aber hinterlässt keine bleibenden Schäden – “gibt nur braue Frecken”. Er selbst hätte mal einen riesigen blauen Fleck vom Ellbogen bis zum Handgelenk gehabt, aber auch da härtet man wohl ab. Bis ich so weit bin, muss ich wohl damit leben, dass ich noch Tage später nicht vernünftig zugreifen kann.

Der Lehrgang hinterlässt bei mir eine kuriose Mischung aus Selbstvertrauen und Staunen – Selbstvertrauen, weil die meisten Bewegungen und Techniken nachvollziehbar waren, und es sich einfach gut anfühlt, wenn man sie gemeinsam zum Laufen bringt; und Staunen, dass ich mir das angetan habe, und dabei offenbar nichts kaputtgegangen ist. Man hält doch mehr aus als man denkt.

Keine Strichmännchen

“Have a lifting feeling while moving down”, und “move your shoulder down while moving your arm [macht eine hineinkriechende Bewegung]. That also brings your shoulder closer to your center. You can also have a rolling feeling” – Jorma Lyly hatte heute einige überraschende Aiki-Übungen auf Lager. Sehr amüsant waren auch die Menschenketten, die dominogleich umpurzelten, wenn sich Jormas Bewegung (“not strong!”) vom Ersten auf den oder die Stützenden übertrug.

Dieser Lehrgang war deutlich anders als ein reguläres Training – von Prüfungstechniken kaum eine Spur. Jorma wirkt die ganze Zeit recht informell, und wenn er eine Bewegung mit jedem der 20-30 Teilnehmer nacheinander vorführte konnte man sehen, dass keine zwei Ukes gleich sind, und auch die passende Bewegung immer unterschiedlich ausfallen muss.

Oft werden Aikido-Bewegungen, gerade für Anfänger, nach dem Strichmännchen-Prinzip erklärt: An Deinem Körper hängen zwei Beine und zwei Arme, die Arme und Beine haben in der Mitte auch noch ein Gelenk, und los geht’s. In der Art könnte auch ein Avatar die Prüfung schaffen. Das mechanische Modell kann immer weiter verfeinert werden, mit zusätzlichen Drehachsen (insb. Drehungen um die Längsachse der Arme, Drehung der Schulterquerachse gegen die Beckenquerachse) etc.

Jormas Erklärungen heute waren sehr anders – ich würde sagen, sie gingen von Ki aus, auf jeden Fall kamen ganz andere Elemente vor: Verbindung (nicht Anspannung), Weichheit (nicht Lockerheit), Angenehme Bewegung (nicht Kraft), Balance, Leichtigkeit und Schwere (nicht Gravitation), Kontakt, Angst, und Bewegungen an Stellen, die das Strichmännchen gar nicht kennt: in den Schultern (heute bei Jorma, oder sonst auch Joachim: “Jetzt zieht er wieder die Schultern hoch!”), im Rumpf an Bauch und Rücken und dazwischen im Zentrum, und innerhalb der Gelenke.

Ich würde es so beschreiben: Um eine Gitarrensaite zu stimmen, dreht man an einer Schraube; um ein Trommelfell zu stimmen, muss man eine Balance zwischen zwölf Schrauben herstellen. Um den Winkel im Ellbogen- oder Kniegelenk zu steuern, müssen sich Bizeps und Trizeps abstimmen; die Wirbelsäule und die Bauchdecke hingegen sind – komplex. Und auch das Kniegelenk ist (wie die meisten mit zunehmendem Alter schmerzhaft feststellen) weitaus mehr als ein Scharnier, sondern reagiert zunehmen empfindlich auf unausgewogene Anspannung und Drehung.

Ein Lehrgang von zwei Stunden ist viel zu kurz, um so etwas wirklich zu verstehen. Für die beeindruckend vermittelte (bzw. bestätigte) Ahnung, dass es da etwas zu verstehen gibt, bin ich Jorma sehr, sehr dankbar.

Haltung

Aus dem Japanischen über das Englische ins Deutsche…

“Wir achten auf Haltung, wenn wir üben… Wenn Deine Haltung schlecht ist, ist Deine Kraft unkoordiniert, und es ist schwer, sie gut zu nutzen oder zu übermitteln. Du verlässt Dich dann z.B. nur noch auf die Kraft Deiner Arme.

Andere Kampfkünste mögen anders sein, aber wir üben, unser Bewusstsein auf den spezifischen Ort des “Zentrums” zu fokussieren, die zentrale Achse. Wenn Du das gut machst, wenn Du entspannt bleibst und die Technik genauso ausführst wie Du es tust wenn Du die Form allein übst, als wäre Dein Partner überhaupt nicht da, dann kannst Du sie ohne Wiederstand ausführen.

Wir benutzen oft die Metapher, dass die Kraft, die wir zu haben glauben, nur die Spitze des Eisbergs ist, aber wenn Du Deinen Körper geschickt benutzt, kannst Du Deinen gesamten Körper benutzen. Das bedeutet eine Haltung der Entspannung, und dann wie Dein Geist zu benutzen ist.”

Multimedia-Aikido

So sieht das aus, wenn man Techniken richtig multimedial beschreibt (klick auf die Kamera). Was im virtuellen Dojo WWW natürlich fehlt, ist die Möglichkeit zum Selbermachen und – mit Partner – ausprobieren. Und natürlich die konsistente Linie – Google ist Eklektizismus. Aber weise Worte und was zum Abgucken gibt’s schonmal.